Patienten und Angehörige, auch Therapeuten scheuen davor, sich mit dem Rückfall zu befassen und die in der Therapie erreichten Veränderungen auf ihre Standhaftigkeit zu überprüfen. Ganz langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine Therapie nur Sinn hat, wenn man der Möglichkeit eines Rückfalls realistisch ins Auge sieht. Dabei aber eine gezielte Maßnahme zur Verhütung von Rückfällen entwickelt und ausgiebig trainiert.
Die meisten Angehörigen von abstinent lebenden Alkoholabhängigen haben Angst, von einem plötzlichen Rückfall überrascht zu werden. Viele Male sind sie in der Vergangenheit enttäuscht worden, als dass sie an dauerhafte Abstinenz glauben konnten. Viele werden auch nach einer Langzeitabstinenz automatisch unruhig, wenn ihr Partner sich wie früher verhält, Trinkkumpels besucht oder dergleichen tut. Daher möchten viele Angehörige dass Thema Rückfall gar nicht anfassen, um "die alte Gewohnheit" nicht zu wecken.
Dazu ist die Einstellung der Betroffenen hiervon sehr unterschiedlich. Manche sind verbittert, weil man ihnen trotz der langen Abstinenz noch nicht voll vertraut. Es gibt viele Betroffene, die sich hierbei überschätzen. Weil sie während der Therapie ohne Schwierigkeiten trocken bleiben, gehen sie davon aus, dass es immer so bleibt. Doch wollen sie sich auch mit den verschiedenen Rückfallrisiken auseinandersetzen. Viele trauen sich nicht darüber zu sprechen, weil sie Angst haben, sie könnten rückfällig werden und ihre Umwelt noch mehr misstrauischer zu machen. Wieder andere nehmen es sich gar nicht erst richtig vor, trocken zu bleiben, da sie bei einem Rückfall nicht zu sehr enttäuscht sind. Diese gehen nach dem Motto "Das habe ich doch geahnt".
Gemeinsam haben aber die Abhängigen und deren Angehörige keine rechte Vorstellung davon, was sie zur Vermeidung eines Rückfalls eigentlich unternehmen können. Darum kommt der Glaube, die Therapie wird schon helfen. Jedoch muss der Patient wollen, dann wird er schon nicht trinken. Zwei "häufigste Erklärungen" eines Rückfalls drücken diese Hilflosigkeit aus:
- "Ich weiß nicht, wie es kam. Ich habe einfach wieder angefangen zu trinken."
- "Bei diesem Problem war es kein Wunder, dass ich wieder angefangen habe."
Die beiden Fälle zeigen, dass der Rückfall als unvermeidbar hingestellt wird und man eben keine Einflussmöglichkeiten hatte. Diese Erklärungen taugen aber nur kurzfristig zur Entlastung von Schuldgefühlen. Langfristig würde das bedeuten, dass man immer mit einem Rückfall rechnen muss, weil es keinen Schutz hierfür gibt. Zum Glück weiß man aber viel mehr über die Entstehung und über die Verhütung von Rückfällen. Zunächst soll das schrittweise Zustandekommen eines Rückfalls erläutert, dann die Möglichkeiten erklärt werden, wie man das Risiko eines Rückfalls verringern kann.
Was ist "Rückfall"?
Es entstehen nicht selten Verwirrungen, was man überhaupt unter einem Rückfall verstehen soll. Viele meinen von einem Rückfall, dass der Betroffene wieder in seinem Element ist, in sein altes Trinkverhalten zurückgefallen ist. Gelegentliches Trinken zählt dann nicht unter das Motto: "Das ist doch kontrolliert". Andere denken bei einer Schnapspraline wieder an Rückfall und dem Motto: "Ein Tropfen Alkohol und Du bist wieder drin".
>>"Ich hatte auch versehentlich eine Schnapspraline genommen, gegessen und verdaut. Ich meine, dass es nur auf den Willen jedes einzelnen ankommt, um abstinent zu bleiben und diese einzelne, unfreiwillige Schnapspraline macht nicht das Problem."<<
Zur Klärung wird an dieser Stelle betont:
Ein Rückfall ist das bewusste Einnehmen von Alkohol in jeglicher Form nach der Zeit der Trockenheit.
Die Schwere und der Verlauf eines Rückfalls ist jedoch sehr unterschiedlich:
- Der Betroffene fängt sofort wieder nach dem ersten Schluck an, Alkohol in größeren Mengen zu sich zu nehmen.
- Es gelingt auch manchmal, nur mit wenig Alkohol durch allmähliche Steigerung im alten Trinkverhalten zu landen. Dabei spricht man von einem schleichenden Rückfall.
- Betroffene berichten manchmal auch vom einmaligen Ausrutscher, in einer Versuchssituation Alkohol getrunken zu haben, wo es dann für längere Zeit der einzige Vorfall gewesen ist.
Die kritischen drei Monate und das verflixte erste Jahr.
Es wird gesagt, dass das Rückfallrisiko mit zunehmender Abstinenzdauer steigt, weil Betroffene langsam übermütig werden und die Erinnerungen an die Zeit des Trinkens verblassen. In ähnlicher Weise befürchtet man, dass die Therapieeindrücke wie bei einem Farbanstrich langsam verblassen könnten. Wissenschaftliche Untersuchungen ergaben aber in Wirklichkeit bei vielen Rückfallbetroffenen das Gegenteil: umso länger die Person trocken bleibt, umso geringer ist die Möglichkeit eines Rückfalls. Die ersten drei Monate nach einer Therapiebehandlung besitzen die größten Rückfallrisiken. Auch relativ viele Rückfälle gibt es im ersten Jahr, wobei danach die Rückfallrisiken seltener werden. Je länger man also trocken bleibt, desto größer ist die Chance, immer trocken zu bleiben.
Realität - Risikosituationen
Eigenschaften oder Lebensumstände einer Person sind entscheidend, ob jemand rückfällig wird oder nicht. Man hat Personen, welche erfolgreich trocken lebten, mit solchen, welche nach einer Behandlung Rückfälliger verglichen. Die Ergebnisse waren sehr widersprüchlich. Daraus lassen sich keine guten Schlüsse ableiten, wer ein hohes und wer eher ein niedriges Rückfallrisiko besitzt. Es werden offenbar die Ereignisse nach der Entlassung aus einer Behandlung entscheidend sein. Die Frage, wer wird rückfällig, wer nicht, ist sinnvoller gefragt, wer stärker Rückfallgefährtet ist und wer nicht. Es zeigt sich, welche schwere Schicksalsschläge da sind, die zu einem Rückfall führen können. In Ausnahmesituationen sind viele Betroffene auf der Hut, um sich zu beweisen, dass sie es auch "ohne" schaffen. Viele ganz alltägliche Situationen, die bereits problemlos bewältigt wurden, werden plötzlich zu Rückfallsituationen, ohne dass es den Betroffenen vorher schlecht erging. Ein ganz normaler Tag kann den "Anfang" bringen.
Doch fällt so ein Rückfall nicht einfach vom Himmel.
Mittlerweile konnte man eine Reihe typischer Rückfallrisiken identifizieren und erwiesen sich. Allein 60% aller Rückfälle ereignen sich in dieser Situation:
- unangenehme Gefühlssituationen (Langeweile, Einsamkeit, Angst, Depressionen)
- Ärger und Konfliktsituationen (am Arbeitsplatz, Familie)
Die übrigen 40% ereignen sich in diesen Situationen:
- angenehme Situationen (Erfolgserlebnisse Verliebtheit)
- körperliche Beschwerden (Schmerzen, Schlafstörungen)
- Geselligkeit (Partys, Familienfeier)
- plötzliches verlangen (beim Anblick eines Biergartens)
- kontrolliert zu trinken
Viele Abhängige haben allerdings verschiedene Risikosituationen. Meist sind es solche, die früher eng mit einer angenehmen Alkoholwirkung verbunden waren.
>>Hier möchte ich erwähnen, das es für mich eine sehr gute Erinnerung gibt. Diese haben die angenehmen Alkoholwirkungen insofern damit verbunden, dass eine frühere Freundin mir helfen wollte, mich vom Alkohol fern zu halten. Ihre Worte sind jetzt GOLD wehrt, welche mir halfen, endlich den Alkohol abzuschreiben. Schon wegen der Worte und die Erinnerungen daran, sowie die lange Zeit der bisherigen Abstinenz"<<
Die harmlosen Entscheidungen
Es ist kein reiner Zufall, wenn man in eine Risikosituation geraten ist. Viele harmlose Entscheidungen gehen davon aus und sehr oft ist es den Betroffenen nicht bewusst, dass er durch Unachtsamkeit und Selbstüberschätzung immer mehr in Gefahr gerät. Die Lebenspartner dagegen sind eher misstrauisch, wenn ein trockener beschließt:
- nicht mehr in die Selbsthilfegruppe zu gehen
- für Gäste größere Mengen Alkohol im Haus hat
- niemandem zu sagen, dass er alkoholabhängig ist
- bestimmte unangenehme Dinge wie früher vor sich her schiebt
- mit seinen früheren Saufkumpanen zusammen ist
Betonend ist, dass er keinen gezielten Rückfall plant. Viel eher ist, dass seine Aufmerksamkeit nachgelassen hat und ungewollt das Risiko eines Rückfalls hervorruft.
Suchtgedächtnisse rosten nicht.
Viele Abstinenzler haben Erinnerungen an das, dass sie einfach wieder getrunken haben und können sich deshalb nicht an das Geschehene erinnern. Wenn einer in diese Risikosituation geraten ist, ist es kein Wunder, wenn das Suchtgedächtnis des Betroffenen wieder aktiv ist. Dann laufen Prozesse im Gehirn und automatisch ab:
- die Wahrnehmung ist auf Suchtmittel und damit auf Gegenstände oder Gerüche fixiert
- der Handlungsspielraum und Problemlösefähigkeiten sind eingeschränkt
- Stimmung und körperlicher Zustand verändert
Selbst, wenn sie von den Veränderungen nichts mitbekommen, konnten doch wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass sie es erheblich schwer haben, in der Risikosituation trocken zu bleiben. Andere Betroffene erleben die so genannten Rückfallgedanken. Dort erinnert sich ein Abhängiger an die angenehme Wirkung des Suchtmittels: "Mit Alkohol bin ich...“ Oder die Ausrede für einen Rückfall: "Der Schluck...". Mit solchen Rückfallgedanken ist entschieden häufig das deutliche Verlangen zur Wirkung des Alkohols einhergehend. Annehmende Form des Verlangen kann sein:
- ein unmittelbarer Drang nach Alkohol,der sich durch Speichelfluss, Herzklopfen oder Durstgefühl ausdrückt
- an Entzugserscheinungen körperlicher Reaktion wie Schwitzen oder Zittern
- angenehme Gefühlszustände, als ob man Suchtmittel schon zu sich genommen hat
Viele Betroffene sind dadurch schockiert, durch die auftretenden Rückfallgedanken und das Verlangen nach Suchtmittel. Die Rückfallgefahr wird allerdings weiter erhöht, denn:
Ein Rückfall droht dann, wenn Rückfallgedanken oder Verlangen die Zuversicht des Betroffenen untergraben, auf Dauer ohne Alkohol leben zu können!
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